Montag, Februar 21, 2005

Über Paradigmen und die Qualität der Blogosphere

Röll diskutiert in seinem E-Business Weblog heute thesenartig die Frage nach der Qualität einer deutschen Blogosphere. Er ist der Meinung, dass hinter den negativen Äußerungen zur mangelnden Qualität der deutschen Blogosphere ein falsches Paradigma steckt. Zum Schluß kommt er zu folgendem Fazit:

Es ist legitim, über "gute Blogs" und über "Qualität" zu diskutieren und sich "bessere Blogs" zu wünschen. Wir müssen uns nur darüber im Klaren sein, dass das eine sehr spezielle Diskussion ist: Die über die "Spitze des Blog-Eisbergs", wenn so will. Die wirkliche, große Veränderung findet woanders statt: Da, wo ganz normale Leute ganz normale Weblogs schreiben, die - ganz normal - für sehr viele Leute völlig uninteressant sind. Diese Leute bekommen mit Weblogs ein neues Kommunikationswerkzeug an die Hand, mit dem sie das Potenzial haben, sehr viele Leute zu erreichen. Sie können über Suchmaschinen gefunden werden und Leser bekommen. Es bilden sich Beziehungen und Netzwerke, die es vorher nicht gab.Was die Menschen daraus machen, liegt wieder in ihren Händen und hat mit Weblogs nichts mehr zu tun. Aber Weblogs in Kombination mit Suchmaschinen schaffen die Grundlage für diese Vernetzung, die neu ist. Diese Neuartigkeit der Vernetzung ist es, was die Innovation in Weblogs ausmacht. Sie ist das Interessante. Sie hat eine ganz besondere Qualität.

Auch wenn im folgenden einige kritische Bemerkungen von mir zur Begriffswahl von Röll kommen, gebe ich ihm grundsätzlich über die Entwicklung von Weblogs Recht. Doch zunächst zur begrifflichen Kritik. Zum Begriff des Paradigma/Qualität Jede wissenschaftliche Forschung und Diskussion besteht im Prinzip aus gedanklichen Setzungen. Somit ist Forschung und damit einhergehend auch die Theoriebildung und die Diskussion um ein bestimmtes Thema (in unserem Fall Weblogs bzw. die Blogosphere) durch eine bestimmte Perspektive geprägt, durch die man die Welt sieht und aufgrund derer maN Forschung betreibt, diskutiert etc. Diese Perspektive wurde durch Kuhn mit dem Begriff des Paradigma belegt. Kuhn führte den aus dem griechischen stammenden Begriff des „Paradigma“[1] erstmals 1962 in die Fachliteratur ein. Nach Kuhn stellt die Geschichte der Wissenschaften einen unsteten Prozess dar. Gerade im Kontext des Entdeckungszusammenhangs schreitet eine Wissenschaftsdisziplin durch eine Folge von wissenschaftlichen Revolutionen voran. Eine solche Revolution wird durch die Entdeckung von Anomalien ausgelöst, die sich aus den Widersprüchen zwischen den theoriegeleiteten Erwartungen und dem tatsächlichen Verhalten eines wissenschaftlichen Untersuchungsobjekts ergeben, so z.B. nach der Frage ob Weblogs ein eigenes Medium darstellen, ob diese klassische Medien verdrängen oder komplementieren, etc. Bleiben solche Anomalien beharrlich, sind sie mit der bestehenden Theorie unvereinbar, so spricht man von einer wissenschaftlichen Krise, in der bis dahin vorherrschende Theorien und Gesetzesaussagen hinterfragt werden. Nach Kuhn ist dies der Zustand, in dem das herrschende Paradigma einer Wissenschaft offen gelegt, analysiert und kritisch hinterfragt wird.[2] Paradigmen sind somit als eine Art Gedankenmodell zu verstehen, die anfangs neuartig genug sind, um damit eine ausreichende und im Zeitablauf beständige Gruppe von Wissenschaftlern anzuziehen und denen sich noch eine ausreichende Zahl an ungelösten Problemen zur eigenen wissenschaftlichen Arbeit bietet.[4] Von einem falschen Paradigma in der Diskussion um Blogs zu sprechen, halte ich zu bisherigen Zeitpunkt viel zu früh. Da der Begriff des Paradigma einfach nicht korrekt gewählt ist. Betrachtet man die aktuellen Diskussionen in der deutschen Blogosphere und auf den Kongressen, so herrscht in der deutschsprachigen Blogosphere m.E. noch eine Metadiskussion um die Frage, was sind Blogs? wie funktionieren Blogs? Wozu kann ich diese einsetzen? etc. vor. Herrscht Einigkeit darüber, kann von einer Art "Paradigma" gesprochen werden. Darüber hinaus zeigt die Diskussion, ob nun politische Diskussion in Blogs geführt wird, etc.bzw. der Vorwurf eines Mangels an politischer Diskussion in deutschen Blogs, dass die Kritiker (wieder einmal) nur den Blick über den großen Teich in Richtung USA gemacht haben und Vergleiche ziehen. Man darf nicht vergessen und - hier hat Röll vollkommen Recht-, dass die deutschsprachige Blogosphere noch in den Kinderschuhen steckt und in ihrer Entwicklung 2-3 Jahre hinter den USA. Betrachtet man die auf technorati & Co. die größten Blogs im Vergleich USA / D. zeigt sich sehr deutlich, dass in D. die führenden Blogs immer noch eine Meta-Diskussion führen, während in den USA bereits andere Themen (Politik, Krieg, etc.) vorherrschen.

Die Debatte um Qualität - insbesondere im Bereich der Medien ist nicht neu. Bei der Einführung des dualen Rundfunks, der Diskussion um das Privatfernsehen, etc. wurde dem Journalismus bzw. den Journalisten immer wieder der Vorwurf fehlender Qualität, etc. gemacht. Da verwundert es nicht, dass auch mit dem stärkeren Wachtum eines emergierenden Kommunikationsmediums bzw. besser einer Kommunikationsarena die Frage nach Qualität aufkommt. Doch im Gegensatz zu den bisherigen Medien, wird der Vorwurf mangelnder Qualität diesmal nicht den Journalisten und Medienhäusern gemacht, sondern den "neuen Akteuren" in der Kommunikationsarena - den Bloggern in der Blogosphere. Dabei wird eine ähnliche Kritik wie schon beim häufig bemängelten "Qualitätsjournalismus" angeführt. Einige Parteien sehen einen „Qualitätsverlust“ aufgrund der fehlenden Ausbildung bzw. Professionalisierung , andere sehen ein Abbröckeln der Qualität in der Berichterstattung in der Blogosphere aufgrund der "Laienjournalisten" und damit in den drei klassischen Funktionen des Journalismus (Information, Unterhaltung und Orientierung) bzw. eine Verschiebung der Funktionen bei Journalisten aufgrund von Weblogs. Doch was ist eigentlich Qualität? Wenn Blogger über aktuelle Entwicklung in der Politik bloggen oder wenn Sie über private Angelegenheit eine breite Öffentlichkeit informieren bzw. unterhalten? Fakt ist, das Qualität ein mehrdimensionales, komplexes Konstrukt ist, dessen Operationalisierung nicht erst mit der Frage nach Qualität in der Blogospehre schwierig ist. Qualität kann immer nur aus dem jeweiligen Kontext heraus beurteilt werden.Der Kontextbegriff wird in der wissenschaftlichen Diskussion in mindestens zweifacher Weise verwendet: in einer mehr wörtlichen und in einer mehr übertragenen Bedeutung. Im übertragenen Sinne werden unter dem Begriff alle unabhängigen Variablen der Betrachtung subsumiert, die die Situation bzw. die strukturellen Randbedingungen kennzeichnen oder im Sinne eines generativen Sprachspiels, das als Basis die Bildung weiterer Aussagen ermöglicht. Will man gewisse Aussagen verstehen bzw. weitere entwickeln, so ist dies nur vor dem entsprechenden Kontext bzw. generativen Sprachspiel möglich.[3]

Die soeben verfolgten Überlegungen zeigen, dass die Diskussion von Qualität, deren Konzeptualisierung und die daraus folgende Operationalisierung immer vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes bzw. des Sprachspiels der Diskutierenden bzw. Forscher erfolgen muss. Solange aber noch kein Paradigma (in Bezug auf Weblogs) besteht, ist eine Diskussion über die Qualität des zu beobachtendne Phänomens nicht sinnvoll bzw. führt nur dazu, dass die Diskutierenden "aneinander vorbei" reden. Bezogen auf die oben aufgeführte Problematik des Vorwurfs der mangelnden Qualität der deutschen Blogosphere müssen zunächst die verschiedene Anspruchsgruppen (wie bspw Blogger, Journalisten, Medienhäuser, Lesern, etc.) ein weitgehend ähnliches Verständnis entwickeln, um wirklich sinnvoll über die Qualität der Blogosphere diskutieren zu können.

Fazit zum Fazit: Über Geschmack lässt sich bekanntlich schlecht streiten. Eine Diskussion über gute und weniger gute Blogs erscheint vor dem Hintergrund eines (in Deutschland) noch fehlenden paradigmatischen Verständnisses über Blogs und die Blogosphere verführt. Viel interessanter erscheint mir die von Röll in seinem Fazit angesprochene Vernetzung von Weblogs. Eben diese Vernetzungmöglichkeit sehe ich als ein wesentliches konstitutives Element von Weblogs und der Blogosphere, die diese einzigartig machen. Erst durch die veränderten medialen Realitäten und der Konvergenz der IT-, Medien und Telekommunikationsindustrie hat die "relativ" alte Technologie der Weblogs und deren Anwendungsmöglichkeiten einen neuen Anschub bekommen. Diese Veränderung außerhalb der Blogosphere hat erst zur vermehrten Nutzung von Weblogs an sich geführt. Der damit einhergehende "information overload" und das Bedürfnis nach individuellem Inhalt, dem Wunsch nach Personalisierung und ein verändertes gesellschaftliches Verhalten sind der Nährboden für Weblogs. Diese Variablen bestimmen aber die inhaltiche Entwicklung von Weblogs sowie deren Nutzung in der deutschen Blogosphere. Verstehen wir diese Zusammenhänge wird eine sich daran anschließende Frage nach der Qualität der Blogosphere sinnvoll sein, vorher nicht.

[1] Der Begriff Paradigma steht in der Übersetzung für das Wort Beispiel. Es ist im Laufe der Zeit zum Modewort avanciert und wird umgangssprachlich und oft auch wissenschaftlich unpräzise und bis zur Unkenntlichkeit verwendet. Paradigma bedeutet ursprünglich ein Beispiel, das Vorbildfunktion für andere Beispiele besitzt, also ein Beispiel von Beispielen. Vgl. Gloy (1998), S. 241.

[2] Vgl. Kuhn (1970), S. 52.

[4] Vgl. Kuhn (1978), S. 25. Eine genauere Definition des Begriffes Paradigma ist bei Kuhn nicht zu finden. So weist Mastermann in der ursprünglichen Version von Kuhns „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ nicht weniger als 21 verschiedene Bedeutungen des Begriffes Paradigma nach. Vgl. Mastermann (1970) zitiert nach Eggert (1998), S. 3.

[3] Kirsch (2003), S. 94 f.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

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Anonym hat gesagt…

A