Sonntag, Januar 09, 2005

Weblogs - Die Büchse der Pandora für PR-Praktiker? (Vorabveröffentlichung Pressesprecher)

Der folgende Beitrag stellt einen Entwurf für einen Einführungstext zum Thema Weblogs für die Februar/März Ausgabe des Pressesprechers dar. Der Originaltext ist der Redaktion zu lang und wird daher nur in gekürzter und veränderter Fassung veröffentlicht werden: Weblogs – Die Büchse der Pandora für PR-Profis? Bereits in der griechischen Mythologie sorgte ein geheimnsivolles und versiegeltes Gefäß von Göttervater Zeus für Aufsehen. Er gab die allgemein bekannte Büchse an Pandora, der ersten Frau auf Erden, mit dem Gebot, diese nicht zu öffnen. Doch Pandora erlag ihrer Neugier und öffnete die Büchse, worauf unzählige Plagen sich auf der Erde ausbreiteten. Als Zeus die unheilvolle Büchse schließlich wieder verschloss, blieb nur die „Hoffnung“ als einzige Wohltat für die Menschen in der Büchse zurück. In Deutschland stellen Weblogs ein neues emergierendes Kommunikationsphänomen dar, dass ähnlich neugierig macht aber nicht ganz ungefährlich für PR-Praktiker ist. Gerade aus Sicht der Public Relations stellt sich die Frage, ob Weblogs - bei denen es sich technisch gesehen um XML-basierte, regelmässig aktualisierte Webseiten handelt, deren Einträge in umgekehrt chronologischer Reihenfolge sortiert sind –eine neue Büchse der Pandora sind? Wagen wir uns als PR-Profis an das Thema heran und riskieren einen kommunikativen Supergau? Oder sind Weblogs ein neuer Hoffnungsträger für professionelle Kommunikation in Zeiten der Medienvielfalt und des „information overload“? Derzeit gibt es sowohl Beispiele für den gefährlichen oder falschen Umgang mit Weblogs, wie das JAMBA! in Deutschland zeigt aber auch für deren nutzbringenden Einsatz. Den noch überwiegend von Privatpersonen geführten elektronischen Tagebüchern sind inhaltlich keine Grenzen gesetzt. Sie können sowohl als private Tagebücher, journalistische Publikationen, zum Zwecke der internen oder oder externen Unternehmenskommunikation oder als Knowledge-Managementinstrument eingesetzt werden. Aufgrund der einfachen Handhabung und der geringen Kosten für Produktion und Übertragung bieten sie als eine Art Mini-Content Management Systeme Kommunikatoren, die nicht originär aus der Medienindustrie stammen, die Möglichkeit, sich an der öffentlichen Kommunikation zu beteiligen und Themen vorzugeben bzw. diese zu kommentieren. Damit ermöglichen Weblogs einem viel breiteren Publikum Zugang zu einem publizistischen Medium. Weblogs ersetzen damit die klassische „one-to-many“-Kommunikation durch eine netzwerkartige Kommunikation[1]. Möglich wird dies durch die Hypermedialität[2] der Weblogs, denn mittels Trackbacks und Blogrolls werden einfache Verlinkungen und Themenclusterungen auf einem Weblog möglich. Mittels dieser Verlinkung der Beiträge auf anderen Blogs, die meist von einem Autor – einem sogenannte Blogger – verfasst werden, können einzelne Inhalte eines Weblogs schnell in anderen Weblogs verbreitet werden. Diese als Trackback bezeichnete Verlinkung ermöglicht den schnellen Aufbau eines Kommunikationsnetzwerkes mit anderen Bloggern, die diese Trackbacks auf Ihren eigenen Seiten einbauen. So kann ein einziger Eintrag in einem Weblog sich binnen weniger Stunden in der Blogosphäre verbreiten bzw. vernetzen. Der Blogroll stellt darüber hinaus die beliebtesten Websiten oder Empfehlungen eines Bloggers dar. In der Regel verfügen Weblogs noch über eine weitere technische Raffinesse, die den Austausch von Information noch weiter beschleunigt: durch die Einbindung eines einfachen Syndizierungsverfahrens, dem RSS-Format (Really Simple Syndication) können Weblogs auch von Nicht-Bloggern „abonniert“ werden.[3] Über die häufig kostenlos zur Verfügung gestellte Browsersoftware, den News-Feedern wie Feed-Demon[4] oder News-Crawler[5], können Rezipienten individuell Blogs in ihrem Newsfeeder zusammenstellen. Der Feeder informiert dann automatisch, wenn neue Beiträge auf dem Blog erscheinen. Die Technologie hat auch Einzug bei der neuesten Generation des WWW-Browers Firefox[6] gefunden. So informiert der Browser den Nutzer automatisch über RSS-fähige Seiten, die dann per Mausklick einfach abonniert werden können. Aufwendiges Suchen oder ein regelmäßiges Nachschauen auf dem Blog entfällt. Damit verquicken Weblogs die jeweiligen Vorteile von Push-Diensten wie Email mit Pull-Diensten wie News-Foren oder Chat. Der Nutzer kann sich seine eigenen Seiten zusammenstellen und so seine eigenen Nachrichtenseiten konzipieren und bleibt stets auf dem Laufenden– mit wenigen Klicks. Die XML-Struktur von Weblogs erlaubt darüber hinaus, dass Informationen nicht nur auf Webseiten oder in Browsern dargestellt werden. Unter dem Stichwort Moblogging können die Inhalte von Weblogs über PDAs oder Mobiltelefone upgedated und abgerufen werden und ermöglichen damit informative Echtzeitkommunikation. So bietet Nokia bereits Software und Geräte dazu an.[7] Obwohl Weblogs schon seit der Entwicklung des World Wide Web existieren[8], erlebte diesen einen ersten Durchbruch erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Die dezentrale webbasierte Kommunikationsstruktur von Weblogs erlaubte trotz überlasteter Telefonleitungen und z.T. einseitiger Medienberichterstattung durch die Leitmedien, Tausenden von Amerikaner, sich über ihren eigenen Weblog über die Geschehnisse und eigenen Erfahrungen mitzuteilen. Auch aus anderen Krisengebieten, wie bspw. im Irak-Krieg spielten Weblogs eine Vorreiterrolle in der Kommunikation, wie das Beispiel des Blogs von Salam Pax zeigt. In den ersten Tagen des Irak Kriegs stellte sein Blog beinahe die einzige Quelle dar, die kontinuierlich die Sicht der Betroffenen vor Ort in Bagdad schilderte. Entsprechend entwickelte sich die Homepage von Salam Pax[9] zu einem extrem stark frequentierten Treffpunkt für Interessierte aus aller Welt und nicht wenige Leitmedien verlinkten ihre Interangebote direkt mit diesem Blog. Einen zweiten Wachstums- und Bekanntheitsschub erhielten Weblogs im Rahmen des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, wo sie eine wichtige Rolle für die Koordination des politischen Handelns einiger Kandidaten übernahmen und darüber hinaus eine kritische Öffentlichkeit herstellten, die in wachsendem Maße das Agenda-Setting der klassischen Massenmedien beeinflußt haben. Dies hat dazu geführt das in den USA Blogs inzwischen stark verbreitet sind. Verschiedene Studien[10] schätzen die Zahl der Weblogs zwischen 8 und 12 Mio. in den USA. In Deutschland stellen Weblogs mit unter 60.000 Weblogs zwar noch ein Nischenphänomen dar, doch Wachstumszahlen im zweistelligen Bereich zeigen, dass es es sich bei Weblogs um ein entsprechend emergierendes Kommunikationsphänomen handelt. So schwappt die Welle der Begeisterung nun auch nach Deutschland. Jüngste Beispiele zeigen den breiten Einsatz von Weblogs. Das ZDF[11] basierte seine Berichterstattung über die Seebeben Katastrophe in Asien in den ersten Tagen auf sogennanten Tsunami-Blogs, wo Flutopfer „live“ aus dem Geschehen berichteten. Auch die Allgemeine Frankfurter Sonntagszeitung[12] berichtete jüngst über diese Geschehnisse und verwies auf entsprechende Weblogs, um das Geschehen vor Ort einzufangen. Doch neben der Berichterstattung durch Privatpersonen springen auch immer mehr Unternehmen auf das Thema Blogs. Sogenannte Corporate Blogs[13] – vom Unternehmen, dessen Mitarbeitern oder Führungskräften geführte Weblogs - stellen eine neue Möglichkeit dar, Informationen unter Ausschluss klassischer Medien wie TV und Print ungefiltert an ihre Interessenten zu senden. Für Public Relations Praktiker stellt dies eine Chance für direkte Information an die Zielgruppe dar. Die Einsatzmöglichkeiten sind sehr breit, von Produkt-PR, Investor Relations bis hin zur Krisenkommunikation sind Weblogs aufgrund Ihrer hohen Aktualität, Geschwindigkeit und der Mischung aus Push- und Pull-Medium geeignet. Doch mit der zunehmenden Verbreitung und Vernetzung von Weblogs in Deutschland entsteht eine neue Öffentlichkeit, die nur schwer zu überschauen, geschweige denn zu kontrollieren ist. Durch Weblogs werden damit neue Anforderung an das Issue-Management von PR-Profis gestellt. Entsprechende Entwicklungen im Software- und Beratungsbereich stehen noch ganz am Anfang. Der aktuelle Fall von JAMBA! zeigt, dass die die kommunikative Kraft von Weblogs in Unternehmen unterschätzt wird. [Siehe dazu die gesamte Berichterstattung auf PR-Blogger, Spreeblick und im E-Business Weblog]. Inzwischen vergeht kein Tag in dem nicht Online wie Offline über das Thema Weblogs berichtet wird. Selbst die klassischen Leitmedien wie Spiegel[14], FAZ und ARD und ZDF berichten über das Phänomen Blogs, bzw. nutzen diese als Quelle der Berichterstattung. Welche Konsequenzen können für die PR-Arbeit aus diesen Entwicklungen gezogen werden? - Weblogs stellen neue Herausforderungen an das Issue Management von Unternehmen[15]. Aufgrund der Schnelligkeit und Vernetzung sind Weblogs eine Art kommunikativer Seismograph oder Frühwarnsystem für neue Trends oder Issues im Netz. Screening als auch rechtzeitiges Gegensteuern werden wichtig. - Weblogs stellen ein komplementäres Kommunikationsinstrument im PR-Arsenal dar und ermöglichen direkte, schnelle Kommunikation zu den Interessengruppen. Neuere Entwicklungen insbesondere im mobilen Bereich, werden hier neue Anwendungsmöglichkeiten für Marketing und Krisenkommunikation in naher Zukunft ermöglichen. - Blogger in der Blogosphäre stellen eine eigene Öffentlichkeit mit eigenen Kommunikationsverhalten dar. Journalistische Vorgehensweisen der Nachrichtenselektion, -redaktion und –validierung sind außer Kraft[16] gesetzt. Vorherscherrend ist eine neue Form des „grass-root journalism“[17] bzw. partizipatorischen Journalismus[18], die bisherige journalistische Routinen auf den Kopf stellt: erst wird veröffentlicht und dann entsprechend kommentiert. Gerüchte, Falschmeldungen und z.T. ungenügend recherchierte Nachrichten bekommen dadurch schnell ein breites Publikum. Dennoch müssen Unternehmen darauf schnell und kompetent reagieren. Die Gefahren verdeckten Bloggens können für ein Unternehmen schnell zurückschlagen. - Corporate Blogs erlauben eine authentische, direkte Darstellung des Unternehmens. Die praktisch unbegrenzte Reichweite und vierundzwanzigstündige Verfügbarkeit für alle Interessierten sowie die Möglichkeit ein direktes Feedback von Weblog-Lesern durch Trackback Kommentierung zu erhalten, können Unternehmensinteressierte besser eingebunden werden.[19] - Corporate Blogs erlauben eine offene und argumentative Diskussion und erhöhen damit die Glaubwürdigkeit der Unternehmung. Trotz der Offenheit der Weblogs besteht eine hohe Kontrollmöglichkeit für den Besitzer eines Weblogs. - Corporate Blogs stellen ein kostengünstiges, schnell aktualisierbares und leicht zu bedienendes Medium dar und bieten gerade mittelständischen Unternehmen eine gute Möglichkeit, ein schnelles Feedbackmedium im Internet zu etablieren. Doch Vorsicht! Trotz der Vorteile sind Corporate Blogs nicht für jedes Unternehmen geeignet. Aus den Vorteilen der Aktualität und Feedbackmöglichkeit erwachsen hohe Anforderungen an die Unternehmenskommunikation. Es benötigt viel Content und qualifizierte Mitarbeiter zum Betreiben eines Corporate Weblogs. Die Frage, ob Weblogs eine Büchse der Pandora für Unternehmens-PR darstellen kann zum heutigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Die Tatsache, dass Weblogs ein neues, interessantes Medium mit hohen Chancen- und Risikopotential darstellen schon, wie ein Blick in die USA zeigt. Dort wurden das Wort Weblog im Dezember 2004 von der Redaktion des amerikanischen Wörterbuchs Merian-Webster zum Wort des Jahres gekürt und auch das Das Fortune Magazine[20] bewertet Weblogs als einen der zehn wichtigsten Technologietrends in 2005. Fazit: An Weblogs wird kein Unternehmen und kein PR-Praktiker in naher Zukunft vorbeikommen. Offline Einstiegs-Literatur zum Thema Weblog (von Markus Westner zusammengestellt): Deutschsprachig · Blogs von Don Alphonso · BlogTalks von Thomas N. Burg · Das Blog-Buch von Dirk Olbertz · Generation Blogger von Markus Chr. Koch et al. · Online-Communities, Weblogs und die soziale Rückeroberung des Netzes von Christian Eigner et al. · TELEPOLIS: Die heimliche Medienrevolution - Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern von Erik Möller · Weblogs einrichten und loslegen von Nico Lumma et al. Englischsprachig · Blog On von Todd Stauffer · Blog!: How the Web's New Mavericks Are Changing Our World von Daniel Burstein et al. · Blog: Understanding the Information Reformation That's Changing Your World von Hugh Hewitt · Blogging von Biz Stone · Blogging for Teens von John Gosney · Blogging Hacks von Ben Hammersley · Buzz Marketing with Blogs for Dummies... von Susannah Gardner · Essential Blogging von Cory Doctorow et al. · Mirror and the Veil, The: An Overview of American Online Diaries and Blogs (Amsterdam Monographs in American Studies) · Publishing a Weblog with Blogger von Elizabeth Castro · Running Weblogs with Slash von chromatic et al. · Sams Teach Yourself Blogging in 24 Hours... von Molly E. Holzschlag · The Baghdad Blog von Salam Pax · The Complete Idiot's Guide to Creating a Web Page and Blog von Paul McFedries · The Mammoth Book of Sex Diaries: Online Confessions and Call-Girl Adventures: The Best of the Sex Blogs von Maxim Jakubowski · The Weblog Handbook: Practical Advice on Creating and Maintaining Your Blog von Rebecca Blood · The Year of the Blog: Blogs, Politics, and the 2004 Election von Robert J. McNamara et al. · We Blog von Paul Bausch et al. · Weblogs and Libraries von Laurel Anne Clyde · Weblogs for Dummies von Brad Hill · We've Got Blog: How Weblogs Are Changing Our Culture von Rebecca Blood · Who Let the Blogs Out?: A Hyperconnected Peek at the World of Weblogs von Biz Stone Quellen und Literaturangaben: [1] Plake, K./Jansen, D./Schuhmacher, B. (2001): Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet - Politische Potentiale der Medienentwicklung, Wiesbaden [2] Wirth, W./Schweiger, W. (1999): Selektion im Internet. Empirische Analysen zu einem Schlüsselkonzept, Opladen; Wiesbaden [3] Hammersly, Ben (2003): Content Syndication with RSS, Sebastopol, CA [4] http://www.feed-demon.com [5] http://www.newzcrawler.com [6] http://www.firefox.com [7] http://www.nokia.com/nokia/0,,54630,00.html [8] Ein ausführlicher historischer Überblick findet sich bei Blood, R. (2004): http://www.rebeccablood.net/essays/weblog_history.html [9] Salam Pax (2004): http://dear_raed.blogspot.com/ [10] http:www.livejournal.com sowie Berlecon (2004): Weblogs in Marketing und PR - Konzept, Potentiale und Herausforderungen, Berlecon Research GmbH, Berlin [11] Harrer, W. (2005): http://tsunami-blog.zdf.de/ [12] Niegermeyer, S. (2005): http://www.faz.net/s/RubF7538E273FAA4006925CC36BB8AFE338/ Doc~E0CDB8852EF 2644B2A42C8EB1576446FA~ATpl~Ecommon~Scontent.html [13] Fischer, T. (2004): Corporate Blogs – Seifenblase oder Bereicherung der Blogosphäre?, in: Die Gegenwart, Ausgabe 40, 2004 http://www.diegegenwart.de/ausgabe40/corporateblogs.htm [14] Stöcker, C. (2005): http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,335622,00.html [15] Pleil, T. (2004): PR zwischen Euphorie und Ignoranz, in: Die Gegenwart, Ausgabe 40, 2004; http://www.diegegenwart.de/ausgabe40/euphorie.htm [16] Fischer, T.; Quiring, O. (2005): Weblogs II - Ein neues Kommunikationsphänomen zwischen Laienjournalismus und professioneller Berichterstattung?, in: Der Fachjournalist, Heft 3, 2. Quartal, 2005 (in Vorbereitung unter www.bloginitiativergermany.de) [17] Lasica, J. D. (2003): What is Participatory Journalism?, http://www.ojr.org/ojr/workplace/1060217106.php [18] Neuberger, C. (2003): Google, Blogs & Newsbots - Mediatoren der Internetöffentlichkeit, http://www.bpb.de/files/AJGN9T.pdf [19] http://klauseck.typepad.com/prblogger/corporate_weblogs/index.html [20] http://www.fortune.com/fortune/technology/articles/ 0,15114,1011757,00.html

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