Mittwoch, Dezember 15, 2004

Weblogs II –Ein neues Kommunikationsphänomen zwischen Laienjournalismus und professioneller Berichterstattung?

The following text is a draft version of an article to be presented in the magazine "Der Fachjournalist". Please feel free to comment on it: Weblogs II –Ein neues Kommunikationsphänomen zwischen Laienjournalismus und professioneller Berichterstattung? Ein Kommentar von: Tim Fischer und Oliver Quiring Die Berichterstattung über das Phänomen „Blogging“ hat in den vergangenen Wochen und Monaten online wie offline zugenommen. Längst sind die zunächst überwiegend von Privatpersonen geführten elektronischen Tagebücher von den traditionellen Medien wie bspw. „Die Zeit“[1] oder der „Tagesschau[2]“ kopiert worden und haben Einzug in das Themenrepertoire von Lifestyle-Magazinen wie „GQ“ [3] gefunden. Auch der Fachjournalist berichtete in seiner Ausgabe 15/2004 über die Wege zum eigenen Weblog. Die einfache Installation und Handhabung machen sie zu einem attraktiven Kommunikationsinstrument – nicht nur für Journalisten. Einst überwiegend von Privatpersonen verwendet, rücken nun die Industrie-Unternehmen und PR-Agenturen nach. Doch was ist eigentlich der Nährboden für diese Form des “grass-root journalism“? Wenn jeder bloggt, hat dies Auswirkungen auf den klassischen Journalismus oder können Redakteure wie Unternehmen davon profitieren? Weblogs sind ein emergierendes Kommunikationsphänomen Przepiorka[4] beschreibt anschaulich in seinem Artikel, wie einfach selbst für WWW bzw. HTML unerfahrene Internetnutzer die Erstellung eines Weblogs ist. Unter Weblogs wird allgemein ein thematischer Nachrichtendienst verstanden, der als Website publiziert und ähnlich wie ein Tagebuch (daher der Name „Web-Logbuch“) in regelmäßigen Abständen ergänzt wird.[5] Ein solches Weblog kann beispielsweise bei www.blogger.com/start mit nur drei Klicks erschaffen werden. Aufgrund der einfachen Handhabung und der geringen Kosten für Produktion und Übertragung bieten Blogs Kommunikatoren, die nicht originär aus der Medienindustrie stammen, die Möglichkeit, sich an der öffentlichen Kommunikation zu beteiligen und Themen vorzugeben bzw. diese zu kommentieren. Damit ermöglichen Weblogs einem viel breiteren Publikum Zugang zu einem publizistischen Medium. In den USA sind Blogs inzwischen stark verbreitet. Man schätzt die Zahl der Weblogs zwischen 8 und 12 Mio. In Deutschland steht Blogging mit weniger als 60.000 Weblogs noch am Anfang, aber mit enormen Wachstum.[6] Weblogs stellen damit ein emergierendes Kommunikationsphänomen dar, das für den Journalismus Chance und Risiko zugleich ist. Weblogs und RSS vernetzen Nachrichten und Kommentatoren Durch die Hypermedialität[7] der Weblogs werden mittels Trackback, Blogrolls und Pingback (siehe Artikel Prezpiorka Ausgabe 15/2004) Verlinkungen und Themenclusterungen auf einem Weblog möglich. Weblogs ersetzen die klassische „one-to-many“-Kommunikation durch eine netzwerkartige Kommunikation. Ein Thema oder Bericht kann durch wenige Verlinkungen einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Durch die Einbindung von RSS-Feeds können einmal publizierte Nachrichten in einem Weblog sich in Windeseile durch die verlinkten Seiten und RSS-Abonnenten verbreiten. RSS steht für Really Simple Syndication und stellt ein Content Syndizierungformat dar, dass die einfache Verbreitung von Webinhalten mittels sogenannter Feed-Reader ermöglicht. Diese stellen eine Art Minibrowser dar, der die wesentlichen Informationen der neuen Nachrichten mit Titel und kurzer Textzusammenfassung wiedergibt. Die Nutzer können die jeweiligen Feeds auf den einzelnen Weblogs abonnieren und so immer über Änderung des Weblogs informiert werden. Die Feedinformation ist aufgrund ihrer Struktur aber nicht auf das World Wide Web begrenzt, sondern es ist möglich, Feeds auf Handys, PDAs oder andere Applikationen zu erhalten. Dadurch ermöglicht RSS eine schnelle und geschehensnahe Information an die Abonnenten des Feeds über Änderungen. Weblogs sind durch RSS eine gelungene Kombination von Push- und Pull-Dienst und unterscheiden sich dadurch von den klassischen Newsforen oder Mailinglisten, die vom Nutzer aktiv aufgerufen werden müssen. Durch Weblogs und die schnelle Möglichkeit der Informationsverbreitung entstehen bislang unbekannte Arenen der öffentlichen Kommunikation und neue Kommunikationspartner rücken ins Blickfeld – sei es, um neue Themen aufzugreifen, diese zu kommentieren oder selber Themen zu setzen. Bedrohen Weblogs die klassischen Aufgaben der Journalisten? Für Journalisten aus den klassischen Medien wie Print, TV, Hörfunk bedeutet dies ein Überdenken ihrer Rolle als Nachrichten-Gatekeeper. Bisher blieb es Journalisten vorbehalten, gesellschaftlich wichtige Informationen von unwichtigen zu trennen (Selektionsfunktion). Sie informierten und unterhielten die breite gesellschaftliche Öffentlichkeit. Redakteure bestimmten, welche Informationen realistisch, glaubwürdig oder für den Leser/Zuschauer relevant oder von Interesse waren (Orientierungsfunktion) und trugen somit zur öffentlichen Meinungsbildung und Unterhaltung bei.[8] Durch ihre Kommentierung und Recherche überprüften Sie bestimmte Aussagen, um dem entsprechenden Beitrag eine höhere Qualität zu verleihen (Validierungsfunktion). Weblogs könnten eine Verschiebung journalistischer Funktionen im Internet bewirken Weblogs ermöglichen prinzipiell jedem die Teilnahme an der öffentlichen Diskussion. Dieser „partizipatorische Journalismus“[9] oder „grass root journalism“ stellt einige der klassischen Aufgaben und Funktionsweisen des Journalismus auf den Kopf. In der Blogospehre wird erst geschrieben und dann kommentiert. Ein wesentlicher Unterschied von Weblogs zu klassischen Informationsangeboten des Journalismus ist, dass die Informationen ungefiltert ins Netz gestellt und nicht wie bisher vorher selektiert werden. I.d.R. werden die Inhalte erst im Nachhinein durch Kommentare, Bemerkungen und Hinweise anderer Blogger ergänzt. Sie erfahren damit erst eine nachträgliche Bestätigung und Ergänzung, keine vorherige Validierung durch umfangreiche Recherchen eines Redakteurs.[10] Qualitätskontrolle findet daher eher nach Augenschein und im öffentlichen Diskurs statt. Das heißt: Alles, was auf den Seiten zu lesen ist, gilt als vorläufig und unfertig. Es steht unter dem Vorbehalt einer genaueren Prüfung durch die Nutzer und andere Anbieter. Dennoch: Journalisten, wenn Sie nicht selber Blogger sind, bleiben außen vor. Zu informieren und zu unterhalten versuchen Blogger natürlich auch. Wie es dabei um die gesellschaftliche Orientierung steht, bleibt beim Blogging offen und dürfte sich je nach der thematischen Ausrichtung des Blogs stark unterscheiden. Neue Aufgaben für (Online-)Journalisten Auf Journalisten als klassische Informationsintermediäre im Mediensystem kommen damit neue Aufgaben zu. Die in der Blogosphere vorherrschende Netzkommunikation macht ihre Funktion als Gatekeeper im Internet teilweise hinfällig. Direkte, interaktive Kommunikation mit allen Kommunikatoren ist über das Web möglich. Information kann ungefiltert zwischen den Schreibern und Lesern fließen. Abbildung 1 - Eigene Darstellung in Anlehnung an Plake, K./Jansen, D./Schuhmacher, B. (2001), S. 108 f. Die journalistische Filterfunktion und Informationsfunktion entfällt, denn in Weblogs können die Rezipienten schon heute lesen, was morgen erst gedruckt oder gesendet wird. Trotz dieser neuen Technologien ist eine Verdrängung der journalistischen Orientierungsfunktion nicht vollkommen denkbar. Aufgrund der zunehmenden Fragmentierung und Individualisierung der Gesellschaft entstehen Teilöffentlichkeiten mit spezifischeren Informationsbedürfnissen[11]. Diese Bedürfnisse stärken wiederum den Ruf nach qualitativ hochwertigen und glaubwürdigen Informationen, die vor allem durch Journalisten bereitgestellt werden. Journalisten könnten künftig mehr für die Überprüfung der Qualität von Informationen zuständig sein und für eine Orientierung in der hohen Datenflut durch Kommentierung sorgen. Weblogs bringen aber nicht nur Nachteile für Journalisten in Form von Kontrollverlust bei gleichzeitig erhöhten Routinetätigkeiten. Im Gegenteil: sie stellen eine Chance für Journalisten dar. Weblogs als neue Quelle und Gegenstand der Berichterstattung für Journalisten Einerseits kommen Weblogs als Quelle für journalistische Berichterstattung vor allem dann in Frage, wenn seriöse Quellen nicht verfügbar sind oder keine aktuellen Daten liefern können. Durch die dezentrale Struktur von Weblogsystemen, ist es möglich von überall auf der Welt eine breite Lesergruppe zu erreichen. Auch aus einem Krisengebiet, wie das Beispiel des Blogs von Salam Pax zeigt. In den ersten Tagen des Irak Kriegs stellte sein Blog beinahe die einzige Quelle dar, die kontinuierlich die Sicht der Betroffenen vor Ort in Bagdad schilderte. Entsprechend entwickelte sich die Homepage von Salam Pax[12] zu einem extrem stark frequentierten Treffpunkt für Interessierte aus aller Welt und nicht wenige Leitmedien verlinkten ihre Interangebote direkt mit diesem Blog. Andererseits bilden die thematisch vielfältigen Weblogs ein schier unerschöpfliches Reservoir für die Berichterstattung. Ein aktuelles Beispiel stellt der Fall von Ellen Simonetti dar, die mit ihrem Blog „Diary of a Flight Attendant“[13] Medienaufmerksamkeit erregte. Simonetti berichtet in ihrem Blog über ihre Erlebnisse als Stewardess bei Delta Airlines – dies führte letztlich zu ihrer Entlassung. Aufgrund der kuriosen Verknüpfung zwischen Blog und Entlassung, wurde ihr Blog Gegenstand der Berichterstattung. Weblogs als neue Wunderwaffe im Kampf um Aufmerksamkeit? In Zeiten des medialen und häufig beklagten „information overload“ werden Nachrichten von Unternehmen, PR-Agenturen und publizistischen Medien nicht mehr oder nur teilweise wahrgenommen, da sie im Überfluss vorhanden sind. Lediglich Informationen zu einem spezifischen Bedarf, verstanden als „zweckorientiertes oder zielgerichtetes Wissen“ (Wittmann 1959, S. 14), sind knapp. Für die Rezipienten ist damit die Suche nach der richtigen Information wichtiger geworden. Bei einem zunehmenden Medienangebot und der gleichzeitig begrenzten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit nimmt die Aufmerksamkeit für jedes einzelne Medium und der mit ihr übertragenen Botschaft ab. Aufmerksamkeit wird damit zum knappen Gut[14] und diese Knappheit stellt eine neue kommunikative Barriere dar. Nicht mehr was in den Medien ist, wird damit relevant[15] sondern wie man die Aufmerksamkeit auf das Medium lenken kann. Blogger als „partizipatorische Journalisten“ kommentieren das Tagesgeschehen und helfen dabei bestimmte Themen zu „highlighten“. Dennoch: Blogs erreichen momentan nur erhöhte Aufmerksamkeit bei einer breiten Bevölkerung, indem sie kuriose Themen enthalten oder solche behandeln, die bereits auf der Agenda der klassischen Print und Rundfunk-Medien stehen. Die entscheidende Frage ist, wie stark sich der kommunikative Netzeffekt entwickeln wird und ob sich das Gewicht zukünftig in Richtung Weblogs verschieben wird. Wie Weblogs die Beziehung zu klassischen Printmedien und damit den Journalismus und die Mediennutzung insgesamt verändern werden, wird in den USA heiß diskutiert. So haben Blogger Dave Winer und New York Times Digital CEO Martin Nisenholtz eine offene Wette laufen, dass Weblogs bis 2007 den klassischen Printmedien den Rang ablaufen werden (http://www.longbets.org/2). Literatur: Berlecon (2004): Weblogs in Marketing und PR - Konzept, Potentiale und Herausforderungen, Berlecon Research GmbH, Berlin. Franck, G. (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit - Ein Entwurf, München, Wien. Hilse, M./Hoewner, J. (1998): Die Kommunikationskrise im Internet – und was man dagegen tun kann... in: Krezminski, M. (Hrsg.): Interaktive Unternehmenskommunikation – Internet, Intranet, Datenbanken, Online-Dienste und Business-TV als Bausteine erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt am Main, S. 137 - 154. Hömberg, W. (2002): Expansion und Differenzierung - Journalismus und Journalistenausbildung in den vergangenen drei Jahrzehnten, in: Altmeppen, K.-D. H., Walter (Hrsg.): Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt - Diagnosen, Institutionen, Projekte, 1. Auflage, Wiesbaden., S. 17-31. Lasica, J. D. (2003): What is Participatory Journalism?, http://www.ojr.org/ojr/workplace/1060217106.php. Merten, K. (1999): Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Bd 1/1: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft, Münster: LIT. Neuberger, C. (2003): Google, Blogs & Newsbots - Mediatoren der Internetöffentlichkeit, http://www.bpb.de/files/AJGN9T.pdf. Plake, K./Jansen, D./Schuhmacher, B. (2001): Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet - Politische Potentiale der Medienentwicklung, Wiesbaden. Prezpiorka, S. (2004): Der Weg zum eigenen Weblog, in: Der Fachjournalist, o. Jg., Nr. 15, S. 24-27. Wirth, W./Schweiger, W. (1999): Selektion im Internet. Empirische Analysen zu einem Schlüsselkonzept, Opladen; Wiesbaden. Zerfaß, A. (2004): Meinungsmacher im Internet. Weblogs und Peer-to-Peer-Dienste als Herausforderungen für die PR, in: PR-Guide, Nr. 6, S. 1-5. [1] http://www.zeit.de/blogs/index [2] http://www.blog.tagesschau.de/ [3] http://www.gq-magazin.de/gq/6/content/07595/index.php [4] Vgl. Prezpiorka (2004) [5] Vgl. Zerfaß (2004), S. 1 [6] Vgl. Berlecon (2004) [7] Vgl. Wirth/Schweiger (1999) [8] Vgl. Hilse/Hoewner (1998) [9] Vgl. Lasica (2003) [10] Vgl. Neuberger (2003) [11] Vgl. Hömberg (2002), S. 17 ff. [12] http://dear_raed.blogspot.com/ [13] http://queenofsky.journalspace.com/ [14] Vgl. Franck (1998) [15] Vgl. Merten (1999), S. 260

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

A